Freitag, 7. Oktober 2005
Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand
"Tand, Tand - ist das Gebilde von Menschen Hand". Obwohl Fontane weder den Untergang der Titanic (1912) erlebte, noch jemals von Flugzeugabstürzen oder Autounfällen hörte, äußert er sich in diesem Gedicht sehr kritisch gegenüber dem technischen Wettlauf des "immer weiter, immer höher, immer schneller". Das Ereignis, welches Fontane zu diesem Gedicht inspirierte, ging als eine der größten Katastrophen in die Geschichte der Eisenbahn und des Brückenbaues ein: der Einsturz der Eisenbahnbrücke am Firth of Tay. - Bernd Nebel
Die Brück' am Tay ist eine 1880 geschriebene Ballade von Theodor Fontane, die ein Eisenbahnunglück zum Thema hat und diese Katastrophe dämonisiert.
Fontane, der auch Schottland bereiste, wurde durch das tragische Ereignis zu dem Gedicht angeregt.
Es geht um den Zug, der am 28. Dezember 1879 von Burntisland nach Dundee fahren sollte. Die über drei Kilometer lange Eisenbahnbrücke über den Firth of Tay (Mündungsfjord des Flusses Tay bei Dundee, Ostschottland, erbaut 1878) stürzte am 28. Dezember 1879 während eines schweren Wintersturms ein. Der Zug versank im Tay und riss alle Zuginsassen in den Tod.
Ein Rahmengespräch dreier Hexen, eine Motivübernahme aus Schottland in Shakespeares Macbeth, schildert zum Anfang ihre Verschwörung gegen das technische Meisterwerk und am Ende ihren Triumph über die Brücke. Der Zug naht; auf der Nordseite warten die Eltern auf ihren Sohn, der darin sitzt. Mit ihm kommt das Motiv des technischen Fortschritts hinein: der Sohn Johnie ist froh, mit dem Zug fahren zu können. Früher hatte man im Fährhaus lange auf die Überfahrt warten müssen.
Ãœber dieses Ereignis schrieb auch der schottische Dichter William Topaz McGonagall das Gedicht The Tay Bridge Disaster.
An der Stelle der alten Brücke wurde bald ein Neubau und später noch eine Straßenbrücke errichtet. Die Reste der Gründungspfeiler der eingestürzten Brücke sind noch vorhanden.
Die Brücke am Tay
"Wann treffen wir drei wieder zusamm'?"
"Um die siebente Stund', am Brückendamm."
"Am Mittelpfeiler."
"Ich lösch die Flamm'."
"Ich mit."
"Ich komme vom Norden her."
"Und ich vom Süden."
"Und ich vom Meer."
"Hei, das gibt ein Ringelreihn,
und die Brücke muß in den Grund hinein."
"Und der Zug, der in die Brücke tritt
um die siebente Stund'?"
"Ei, der muß mit."
"Muß mit."
"Tand, Tand
ist das Gebild von Menschenhand."
Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut', ohne Rast und Ruh
und in Bangen sehen nach Süden zu,
sehen und warten, ob nicht ein Licht
übers Wasser hin "ich komme" spricht,
"ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
ich, der Edinburger Zug."
Und der Brückner jetzt: "Ich seh einen Schein
am andern Ufer. Das muß er sein.
Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,
unser Johnie kommt und will seinen Baum,
und was noch am Baume von Lichtern ist,
zünd alles an wie zum heiligen Christ,
der will heuer zweimal mit uns sein, -
und in elf Minuten ist er herein."
Und es war der Zug. Am Süderturm
keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,
und Johnie spricht: "Die Brücke noch!
Aber was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
die bleiben Sieger in solchem Kampf,
und wie's auch rast und ringt und rennt,
wir kriegen es unter: das Element.
Und unser Stolz ist unsre Brück';
ich lache, denk ich an früher zurück,
an all den Jammer und all die Not
mit dem elend alten Schifferboot;
wie manche liebe Christfestnacht
hab ich im Fährhaus zugebracht
und sah unsrer Fenster lichten Schein
und zählte und konnte nicht drüben sein."
Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh
und in Bangen sehen nach Süden zu;
denn wütender wurde der Winde Spiel,
und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel,
erglüht es in niederschießender Pracht
überm Wasser unten... Und wieder ist Nacht.
"Wann treffen wir drei wieder zusamm'?"
"Um Mitternacht, am Bergeskamm."
"Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm."
"Ich komme."
"Ich mit."
"Ich nenn euch die Zahl."
"Und ich die Namen."
"Und ich die Qual."
"Hei!
Wie Splitter brach das Gebälk entzwei."
"Tand, Tand
ist das Gebilde von Menschenhand"
Theodor Fontane
Susi - #1 - 07.10.2005 14:34 - (Antwort)
Und das Gedicht und viele andere musste ich zur Freude meines Deutschlehrers und meiner Mama erlernen. Als 5jährige konnte ich sogar "Die Glocke" von Schiller aufsagen... das ist heute alles weg... leider. Irgendwie verliert man mit der Zeit den Bezug zu solchen Dingen. Schade eigentlich, denn es stecken richtig gute Aussagen drin. LG und ein schönes Wochenende Susi
Dr. Dr. Hartmut Herbst - #2 - 03.03.2009 13:27 - (Antwort)
Dem Thema des Zusammenbruchs der Tay-Bridge, der damals längsten Eisenbahnbrücke, widmete sich auch der Dichter-Ingenieur Max Eyth in seinem äußerst lesenswerten Fahrtenbuch eines deutschen Ingenieurs im Kapitel Berufstragik.
Mari an Dr. Herbst - #2.1 - 03.03.2009 18:53 - (Antwort)
Guten Abend Herr Dr. Herbst, vielen Dank für Ihren Tipp, ich habe mir das Buch gleich im Internet gesucht und bei Projekt Gutenberg.de im anderen Buch von Max Eyth "Die Brücke über die Ennobucht" gelesen ... Im Osten Deutschlands aufgewachsen, ist mir Max Eyth leider bis heute unbekannt gewesen ... aber Dank Internet ... :)) Viele Grüße nach Dortmund von Mari
Kommentare