Life-Interview ...
- Mari fragt:
Philipp, du schreibst auf deiner Homepage:
"In den letzten zehn Jahren hat sich der Nomade in mir immer stärker ausgeprägt und seit ich als Abenteurer und Vortragender selbstständig gemeldet bin, mein Leben zur Gänze übernommen."
Ich möchte gern wissen was für dich der erste Augenblick war an den du dich erinnern kannst, an dem du dachtest: "Genauso will ich leben" ... hat es dabei für dich Vorbilder gegeben?
Man sagt mir nach, das ich immer zuviel "aber warum?" frage, kannst du mir trotzdem eine Antwort darauf geben?
Warum lebst du so anders?
Hm, schwer zu sagen... Ich glaube, es hat sich einfach immer mehr herauskristallisiert, dass ich mir ein Leben hinter dem Schreibtisch und vor dem Computer für mich einfach nicht vorstellen kann. Nein, eigentlich mehr, dass ich so ein Leben für mich einfach nicht will!
Halt, da fällt mir ein, nachdem ich meinen allerersten Diavortrag gehalten hatte (das war 1997 über mein Jahr auf Island) - ich war komplett ausverkauft - hab ich mir glaube ich zum ersten mal ernsthaft Gedanken gemacht das ich vielleicht einmal von meinen Reisen Leben zu könnte ... - Fasziniert haben mich diese Typen schon immer, die Säle aufgrund ihrer Geschichten und Bilder füllen können...
Mit Vorbildern ist's ein bisschen schwierig. Ich hab nicht so wirklich mein Idol, doch haben mich als Kind schon immer die Bilder der Höhenbergsteiger und Teilnehmer der Nord- bzw. Südpolexpeditionen mit ihren vereisten Bärten und erfrorenen Fingern fasziniert. Auch war ich in meinen jungen Jahren ganz versessen darauf das neueste GEO-Magazin als erster der Familie zu durchstöbern und in meiner Phantasie durch die entlegensten Gegenden der Erde zu Reisen... Naja, ich hab ja auch nicht aus purer Langeweile jahrelang an meinem Geographiestudium herumgebastelt...
Warum ich in gewisser Weise anders lebe fragst du... Ich glaube, dass ich schon immer gerne gegen den Strom geschwommen bin und mich ungern in eine Schublade mit anderen schieben lasse. Für mich ist es manchmal fast erschreckend zu sehen wie alle (Freunde, Bekannte,...) früher oder später doch mit dem Strom dahin treiben. Vielleicht reden sie noch immer darüber, und denken darüber nach, einmal auszubrechen und "ganz etwas anderes" zu tun, doch schaffen werden es die Meisten letztendlich doch nie, weil Gesellschaftsdruck, Sicherheitsdenken und Angst vor diesem anderen zu groß sind...
Da kommt mir übrigens gerade "Little Boxes" von Pete Seger in den Kopf - eigentlich stammt es ja von Malvina Reynolds aber Pete hat es bekannt gemacht.
Und hoppla, da fällt mir doch noch ein richtiges Vorbild ein! Die Maus Frederik aus dem Kinderbuch von Leo Leonni. Während alle anderen Mäuse Essensvorräte für den Winter sammeln, sammelt Frederick Sonnenstrahlen, Farben und Worte. "Ich arbeite doch" sagt Frederik, "ich sammle Sonnenstrahlen, denn der Winter ist kalt und lang." Und das war auch gut so, denn seine Phantasie-Vorräte erwiesen sich als genauso wichtig wie Körner und Nüsse...
- Mari fragt:
Darf ich fragen, was deine Eltern zu deinem Lebenstraum gesagt haben? Ich kann mir vorstellen das sie sich auch Sorgen um dich machen ... z.B. wenn ich die Geschichte mit dem Eisbären vor eurem Zelt lese, die dir und Fabrice am 06.04.2004 in Van Keulenfjorden - Narthostbreen passierte ...
Ich glaub man sorgt sich immer um die Leute die man gerne hat - das ist ja auch gut so. Überall kann etwas passieren - du weißt ja, die meisten Unfälle passieren angeblich im Haushalt - insofern bin ich ja meist auf der sicheren Seite...
Aber Spaß beiseite, meine Eltern haben mich eigentlich nie an meinen Ideen und Unternehmungen gehindert, sondern mich vielmehr unterstützt meinen eigenen Weg zu finden und zu gehen. Das find ich eigentlich sehr nett! Sie waren schließlich auch diejenigen, die mir "Frederik, die Maus" so oft vorgelesen haben, bis ich das Buch auswendig konnte ;-) Vielleicht haben wir auch deshalb eine so angenehm freundschaftliche Beziehung...
tellergroße Eisbärspuren
- Mari fragt:
Wenn du deine Vorträge hältst, wie reagieren die Menschen? Als ich auf deine Seite kam, dachte ich als erstes an Reinhold Messner - ich dachte, warum muss ein Mensch diese Extreme ausleben?
Für die meisten sind meine Vorträge Geschichten aus einer anderen Welt, in denen sie vielleicht manchmal ein bisschen ihre eigenen Wünsche sehen können.
Eigentlich reagieren die meisten sehr nett, vor allem während der Pause oder nach dem Vortrag und es gibt Lob, Bewunderung und Anerkennung - wenn ich das so sage komm ich mir eigentlich fast ein bisschen arrogant vor..., aber es ist so, und obwohl's mir manchmal fast ein bisschen unangenehm ist bewundert zu werden ist es wie auch immer ein schönes Gefühl in seiner Sache bestätigt zu werden.
- Mari fragt:
Erzählst du uns dein bisher eindrucksvollstes Erlebnis auf Spitzbergen? Etwas das du so nicht erwartet hättest, erwartet man überhaupt etwa?
Philipp:
Also eine Geschichte die mir immer durch den
Kopf geistert - die du übrigens schon vorher angesprochen hast - ist
die mit dem Eisbären beim Zelt.
Ich war gemeinsam mit Fabrice im April 2004 auf einer Schiexpedition
unterwegs zum Südkap. Nachdem wir am dritten Tag eine Gebirgskette
überquert hatten kamen wir zum Van Koilenfjord und haben ganz
übersehen, dass wir schon fast am Fjordeis waren, wo wir aufgrund
der Eisbären (die hauptsächlich am Eis leben) nicht Zelten wollten.
Also begannen wir noch vor dem Eis mit der Zeltplatzsuche, hatten es
jedoch schwer, da es vor kurzem aus unerfindlichen Gründen getaut
hatte und eine Eisschicht den Schnee wie ein Panzer zudeckte und wir
lange keinen geeigneten Platz fanden um das Zelt zu fixieren.
Letztendlich mussten wir in einer unübersichtlichen Mulde einer
Moräne neben dem Fjord zelten.
Als alles aufgebaut war (Zelt und Stolperdraht mit Knallpatronen
um's Zelt) blickten wir uns um und betrachteten die Landschaft um
unser Lager. Auf der einen Seite der nahe Fjord und rund herum
Moränenhügel - hinter jedem könnte ein Eisbär ungesehen sitzen.
"Verdammt! Also wenn ich Eisbär wäre, dann würde ich mich genau hier
aufhalten... ehrlich!"
Wie auch immer. Wir hatten keine andere Wahl, kochten, aßen und
verkrochen uns in unseren Schlafsäcken. Es war eine angenehme, kühle
Nacht. ... bis wir durch zwei laute Explosionen aufwachten!
In einem Bruchteil einer Sekunde saßen wir hellwach kerzengerade auf
unseren Matten.
"Der Stolperdraht! Scheiße!" Alles ereignete sich in nur ein paar
Augenblicken. Ich schnappte mir das Gewehr, lud durch, riss das Zelt
auf... "Eisbär!!" Ich höre Fabrice fluchen während er sich aus
seinem Schlafsack befreite. Ich was schon vor dem Zelt. Barfuss und
nur mit der Unterhose bekleidet stand ich mit dem Gewehr im Anschlag
im Schnee. Der Baer, nur vier Meter vor mir stand wie gelähmt da,
schaute, schnupperte und bewegte sich nicht.
"Bleib wo du bist! Nur ein Zentimeter in unsere Richtung und ich
drück ab!" ging es mir durch den Kopf. Fabrice versuchte eine
Signalpatrone abzuschießen - ein Blindgänger! Natürlich! Der Baer
stand noch immer, schnüffelte und bewegte sich nicht von der Stelle.
Ich war Ebenfalls zu einer Säule erstarrt - die Kälte oder die
Anspannung, keine Ahnung. Nichts geschah. Plötzlich begann Fabrice
den Bären auf's wüsteste zu beschimpfen und ein Schwall aus nicht
wiedergebbarem drang aus dem Vorzelt und durchschnitt die tödliche
Stille. Der Baer schreckte zurück. Endlich eine Reaktion! Jetzt
stimmte auch ich mit ein und schrie so laut ich konnte dem Bären
irgendwelche vulgären Ausdrücke an den Kopf.
Er machte einen halben Schritt zur Seite, war sich sich nicht
sicher, stand dann plötzlich auf die Hinterbeine auf, drehte sich im
selben Moment um und begann über die Moränenwälle davonzulaufen.
Als sein dicker Hintern endlich hinter den Hügeln verschwunden war
ließ ich die Waffe sinken. "Phu, ist mir kalt!" Der Adrenalinspiegel
sank und die Kälte fuhr mir so stark in die Knochen dass ich vor
Schlottern und Zähneklappern plötzlich kaum noch stehen konnte. Ich
verkroch mich in den Schlafsack und zitterte noch immer als Fabrice
wieder ins Zelt kam, nachdem er unseren Stolperdraht repariert
hatte.
Es dauerte ewig bis ich wieder warm wurde. Wir hatten noch eine
halbe Nacht "Schlaf" vor uns und nachdem wir uns insgesamt wieder
beruhigt hatten, rollten wir uns auf unsere Seiten und versuchten zu
Schlafen. Keiner von uns hatte bis in der Früh auch nur ein Auge
zugemacht.
"Was war das? Hast du das gehört?" "Nein. ...doch!" Aber es war
immer nur der Wind der die Zeltplane flattern ließ - der Baer kam
nicht zurück...
- Mari fragt Valeska :
Valeska sag, seit zwei Jahren lebst du auf Spitzbergen mit Philipp, ich kann mir vorstellen - kann ich das überhaupt? - das man als Frau doch an seine körperlichen Grenzen kommt. Hast du jemals gedacht: Warum tue ich mir das an? z.B. Als du dir die Zehen erfroren hast und ein halbes Jahr ohne Gefühl im Fuß leben musstest - Ich habe selber eine Tochter von 18 Jahren die ihre eigenen Wege geht, aber ich glaube sie liebt ihr gemütliches Wohnzimmer und ihre Ordnung ... - Warum ziehst du die Strapazen und die Kälte vor?
Valeska:
...
- Ich danke auch dir von Herzen für diese interessanten
Ausführungen ...
Ich wünsche Euch Beiden für die anstehende Expedition ab 2006 viel Erfolg und vielleicht bekomme ich ja noch einmal diese Möglichkeit, das du mir erzählst ... von Flecken auf unserer Erde die so völlig unberührt und schön sind wie eben hier Spitzbergen...
Mari